
Wer heutzutage an einen Staat denkt, hat ein klar umrissenes, durch Grenzen genau festgelegtes Gebiet vor Augen. Darüber hinaus prägen eine Verfassung, Verwaltungen, gesetzgebende Organe und Gerichtsinstanzen sowie demokratische Strukturen unsere Vorstellung von moderner Staatlichkeit.
Im Mittelalter lassen sich all diese Aspekte kaum erkennen; von Staatlichkeit kann nur bedingt gesprochen werden. Herrschaft funktionierte einst nämlich ganz anders. Weder existierten exakt definierte Grenzen, noch verfügten mittelalterliche Territorien über einen ausgefeilten Verwaltungs- oder Behördenapparat. Die Ausübung der Herrschaft war eng mit der Persönlichkeit des jeweiligen Herrschers verknüpft. Zudem basierte mittelalterliche Herrschaft maßgeblich auf der Verfügbarkeit von Grundbesitz; wer umfangreiche Besitztümer sein Eigen nannte, besaß meistens auch zahlreiche Eigenbehörige, die zu Diensten und Abgaben verpflichtet waren. Zugleich konnte der Herrscher diese eigenbehörigen Untertanen an Gefolgsleute weitergeben, wohingegen ihm im Konfliktfall Treue und Zuspruch zugesichert wurde. Persönliche Kontakte und Verbindungen spielten folglich während des Mittelalters eine kaum zu unterschätzende Bedeutung.
All dies gilt auch für die Entstehung der Grafschaft Ravensberg, die beginnend ab dem 11. Jahrhundert allmählich Gestalt annahm. 1070 ehelichte Graf Hermann von Calvelage, gebürtig aus dem Raum Vechta stammend, Ethelinde von Northeim, Tochter eines bedeutenden sächsischen Hochadelsgeschlechts. Während Hermann seine elterlichen Besitzungen in die Ehe einbrachte, erhielt Ethelinde ebenfalls eine reiche Mitgift, nämlich Grundbesitz im Gebiet zwischen den Bischofsstädten Osnabrück und Minden. Auf einem Höhenzug im Teutoburger Wald errichtete das Ehepaar eine Festung: die Burg Ravensberg. Ihre Nachkommen und Erben benannten sich fortan nach dieser Burganlage; das Geschlecht der Grafen von Ravensberg etablierte sich. Die ersten Anfänge der Grafschaft Ravensberg sind damit in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts zu suchen. Doch es vergingen noch einige Jahrhunderte, bis dieses Territorium seine spätere Ausdehnung annahm, bis sich sukzessive feste Grenzen beziehungsweise zaghafte Verwaltungsstrukturen ausbildeten. Und auch von einem flächendeckenden Gerichtswesen konnte seinerzeit noch nicht die Rede sein. Es waren also zunächst bescheidene Anfänge, die mit unserem heutigen Verständnis von Staatlichkeit wenig gemein haben.
Am Anfang war Ethelinde von Northeim. Die Tochter aus gutem Hause ehelichte 1070 Graf Hermann I. von Calvelage. Ihre elterliche Mitgift stellte die Basis dar, damit sich im Gebiet zwischen den Bischofssitzen Osnabrück und Minden am Teutoburger Wald eine neue Herrschaft etablieren konnte: die Grafschaft Ravensberg. Gesprochen von Cornelia Rössler.